Mikrofibrillierte Cellulose vs. pyrogene Kieselsäure: Eigenschaften und Anwendungen

Mikrofibrillierte Cellulose (MFC) und pyrogene Kieselsäure werden beide zur Kontrolle der Rheologie flüssiger Systeme, wie Thixotropie und Stabilität, verwendet und können im gleichen Anwendungsbereich eingesetzt werden, wobei sie ähnliche Eigenschaften aufweisen. Es gibt jedoch auch tiefgreifende Unterschiede zwischen den beiden. Während MFC ein natürliches Produkt ist, das aus zellulosebasierten Rohstoffen gewonnen wird, ist die native hydrophile pyrogene Kieselsäure ein amorphes, kolloidales Siliziumdioxid, das durch ein Flammenhydrolyseverfahren hergestellt wird. Warum können also zwei auf den ersten Blick so unterschiedliche Produkte in ähnlichen Anwendungen eingesetzt werden? In diesem Blog-Beitrag werde ich die beiden multifunktionalen Additive genauer vorstellen und erörtern, wie sich ihre Ähnlichkeiten und Unterschiede auf die Anwendungseigenschaften auswirken können.

Abbildung 1. Hydrophile pyrogene Kieselsäure (DC 98%, links) und MFC (DC 2% in Wasser, rechts).

Wie sind die Materialeigenschaften der beiden Produkte?
Pyrogene Kieselsäure gilt aufgrund ihrer ungewöhnlichen Partikeleigenschaften als einzigartiges Material. Seine Primärstruktur besteht aus verzweigten Aggregaten, die durch die Verschmelzung nichtporöser, kugelförmiger SiO2-Teilchen durch Hydrolyse bei über 1000°C entstehen. Beim Abkühlen verschränken sich die Aggregate mechanisch und bilden Agglomerate (Tertiärstrukturen). Aufgrund des geringen Durchmessers der Primärpartikel und der offenen Struktur der Agglomerate hat pyrogene Kieselsäure eine sehr große Oberfläche. Es handelt sich um ein leichtes, flauschiges, weißes Pulver, das in vielen Anwendungen und in einer Vielzahl von Industriezweigen eingesetzt wird (Abbildung 1, links).
MFC wird in der Regel als Wassersuspension geliefert und durch Längsfibrillierung von Cellulosefasern hergestellt, wodurch ein hochentwickeltes dreidimensionales Netzwerk von Cellulosemikrofibrillen mit einer großen Oberfläche entsteht (Abbildung 1, rechts). Mit Zellulose-Mikrofibrillen, deren Durchmesser sogar bis in den Nanometerbereich und deren Länge im Mikrometerbereich reicht, trägt MFC zur Materialfestigkeit bei und verleiht verschiedenen Formulierungen eine neue Dimension der Stabilität. Wie können die Partikelnatur von pyrogener Kieselsäure und die langen, dünnen Mikrofibrillen von MFC in Anwendungen ähnlich funktionieren?

Abbildung 2. Optische Mikroskopie von 0,65% MFC (links, Exilva von Borregaard) und pyrogener Kieselsäure (rechts) in PEG 400. 20-fache Vergrößerung (Phasenkontrast).

Das große Verhältnis von Oberfläche zu Masse führt sowohl bei pyrogener Kieselsäure als auch bei MFC zu intensiven intra- und interpartikulären Wechselwirkungen. Native pyrogene Kieselsäure hat Silanolgruppen (Si-OH) auf ihrer Oberfläche, die der funktionellen Hydroxylgruppe C-OH auf den MFC-Fibrillen ähnlich sind. Beide funktionellen Gruppen machen die Materialien hydrophil. Sowohl Kieselsäure als auch MFC können folglich von Wasser benetzt werden. Abbildung 2 zeigt, wie beide Materialien große dreidimensionale Netzwerke aus unlöslichen Partikeln/Fibrillen mit hochreaktiven Gruppen bilden, die Wasserstoffbrückenbindungen eingehen können. Dies ist der Grund für die ausgezeichnete rheologische Wirkung von pyrogener Kieselsäure und MFC.

Unterschiede in der Anwendung?

Beide hydrophile pyrogene Kieselsäure und MFC sind primäre Rheologieadditive, die zur Rheologie- und Thixotropiekontrolle von flüssigen Systemen, wie Bindemitteln und Polymeren, verwendet werden. Die richtige Dispersion innerhalb des flüssigen Systems ist entscheidend für den Aufbau der rheologischen Struktur und kann für die trockene pulverförmige Kieselsäure zeit- und energieaufwändiger sein als für die wässrige MFC.
Die Fähigkeit, H-Bindungs-Wechselwirkungen zu quantifizieren, ist notwendig, um Vorhersagen über die Netzwerkstruktur von Kieselsäure und MFC in einer bestimmten Flüssigkeit zu machen. Berücksichtigt man jedoch den Verdickungseffekt in einer stark wasserstoffbindenden (hochpolaren) Flüssigkeit, so ist MFC das effizienteste Additiv. Bei pyrogener Kieselsäure führt eine Solvatationsschicht um die Kieselsäurepartikel zu abstoßenden Solvatationskräften, die den Verdickungseffekt unterdrücken, wie von Raghavan et al. gezeigt wurde. Dies wird durch die Dispersion von MFC und pyrogener Kieselsäure in PEG 400 (60 % in Wasser) gut veranschaulicht: Die komplexe Viskosität der MFC-Probe betrug 69 Pas, verglichen mit 0,03 Pas für die Silica-Probe (siehe Abbildung 3). Meines Erachtens ist es die bereits hydratisierte und stark verflochtene kontinuierliche Netzwerkstruktur von MFC, die es widerstandsfähiger gegenüber Solvatationskräften macht. Während MFC unabhängig arbeitet, ist es außerdem üblich, zusätzlich zur pyrogenen Kieselsäure sekundäre Additive zu verwenden, um die Viskosität bei geringer Scherung zu erhöhen, indem sie als Brücke zwischen den Partikeln wirken.

Abbildung 3. MFC (links) und pyrogene Kieselsäure (rechts), 0,65 % konz. w/w, dispergiert in PEG 400 (60 % in Wasser) bei 1500 U/min für 30 Minuten.

Betrachtet man Flüssigkeiten mit begrenzter Wasserstoffbindungsfähigkeit, könnte pyrogene Kieselsäure Vorteile gegenüber MFC haben: Die Silica-Partikel-zu-Partikel-Bindungen können zu Ausflockung und Gelbildung führen, während das MFC-Netzwerk kollabieren und ausfallen kann. Ein Lösungsmittelaustausch kann die Kompatibilität von wässriger MFC mit niedrigpolaren Flüssigkeiten erhöhen.
Pyrogene Kieselsäure und MFC werden als Anti-Absetzmittel, Verdickungsmittel und zur Verstärkung von Filmen oder Verbundwerkstoffen eingesetzt. Typische Anwendungsbereiche für beide sind Farben und Lacke, Klebstoffe, Druckfarben, Pflanzenschutzmittel, Körperpflege- und Haushaltsprodukte. Wegen ihres niedrigen Brechungsindexes wird pyrogene Kieselsäure bevorzugt in transparenten Anwendungen eingesetzt, während MFC die Opazität erhöhen kann. Je nach Markt und Anwendung sind pyrogene Kieselsäureprodukte mit verschiedenen Primärteilchengrößen und unterschiedlichen Brunauer-Emmett-Teller (BET)-Oberflächen erhältlich. Ebenso können die verfügbare Oberfläche und die Dichte der funktionellen Gruppen der MFC-Produkte auf die jeweiligen Anwendungen zugeschnitten werden.

Wie sieht es mit der Wirksamkeit aus?

Als Beispiel für eine Beschichtungsanwendung wurden hydrophile pyrogene Kieselsäure und MFC (Exilva F 10%, Borregaard AS) in einer wässrigen Acryl/Styrol-Copolymer-Dispersion dispergiert, die in Überdrucklacken und flüssigen Druckfarben auf Wasserbasis (NeoCryl A-2092, DSM Coating Resins) verwendet wird. MFC war in diesem System ein wesentlich effizienteres Anti-Sagging-Mittel als pyrogene Kieselsäure (siehe Tabelle 1). Mit 50 % Wasser im System kann MFC eine scher- und zeitabhängige rheologische Struktur effizienter aufbauen als pyrogene Kieselsäure. Die Flexibilität des hochgradig verwickelten MFC-Netzwerks ermöglicht einen sehr schnellen Wiederaufbau der Struktur (Erhöhung der Viskosität) nach Beendigung der Scherwirkung. MFC erreicht die gleiche Durchbiegungsbeständigkeit wie Kieselsäure bei weniger als 1/10 des Niveaus, was eindeutig ein Potenzial für MFC in wasserbasierten Papierbeschichtungsanwendungen zeigt.

Tabelle 1. Durchbiegungsbeständigkeitstests von Acrylatdispersionen mit MFC und gefällter Kieselsäure.
Die Durchbiegungsbeständigkeit der Dispersionen wurde mit dem Leneta-Durchbiegungsstab in einem Bereich von 4-24 mils getestet.

*Durchbiegung im Streifen

MFC klingt interessant, wie geht es weiter?

Basierend auf der großen Oberfläche, die mit oberflächenaktiven Gruppen bedeckt ist, die für inter- und intramolekulare Wasserstoffbrückenbindungen zur Verfügung stehen, kann MFC eine brauchbare Alternative zu pyrogener Kieselsäure darstellen. In vielen Fällen bei niedrigeren Einsatzmengen. Darüber hinaus können die Unterschiede in den physikalischen Netzwerkeigenschaften der beiden Materialien zu neuen und aufregenden Entdeckungen führen, wie z. B. zu neuen Eigenschaften der ausgehärteten Endprodukte, die hier nicht diskutiert werden. Wie für pyrogene Kieselsäure wurde auch für MFC in Kosmetika ein Mattierungseffekt (der z. B. zu einem Weichzeichner-Effekt führt) nachgewiesen (siehe unseren früheren Blog-Beitrag über kosmetische Anwendungen von MFC); wie wird sich die MFC-Textur auf andere Anwendungseigenschaften, wie z. B. das Hautgefühl, auswirken? Das Fazit ist, dass MFC in verschiedenen Anwendungen eingesetzt werden kann: MFC bietet eine natürliche und umweltfreundliche Alternative zu pyrogener Kieselsäure. Die Innovationsmöglichkeiten liegen in Ihren Händen.

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