Christliche Philosophie
St. Augustinus war wohl der erste, der den Ausdruck christliche Philosophie verwendete, um die Lehre zu bezeichnen, die den Menschen von der Kirche angeboten wurde, und um sie von den verschiedenen Weisheiten zu unterscheiden, die von den Philosophen des Altertums gelehrt wurden. Vor ihm wurde der Begriff Philosophie jedoch bereits von einigen christlichen Schriftstellern seit Tatian verwendet, um den Kontakt mit dem spekulativen und praktischen Denken herzustellen, das in der kultivierten Welt, in der sich das neugeborene Christentum entwickelte, weit verbreitet war. Im Laufe des Mittelalters wurde die Beziehung zwischen Glaube und Vernunft präzisiert, so dass die natürliche Intelligenz von den Theologen in dem ihr von Gott zugewiesenen Bereich als autonom angesehen wurde. In der Neuzeit beanspruchte die Philosophie eine wachsende Unabhängigkeit, indem sie sich bemühte, eine Lehre zu schaffen, die möglichst frei von nicht-rationalen Einflüssen war, und sich damit faktisch gegen die Lehre der Offenbarung stellte. Die Beziehungen zwischen Philosophie und Christentum haben sich also im Laufe der Zeit gewandelt. Doch erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts wurde der Begriff der christlichen Philosophie explizit zum Gegenstand der Diskussion. In der folgenden Darstellung werden die wesentlichen Definitionen, die die in der Idee einer christlichen Philosophie enthaltenen Schwierigkeiten a priori erklären, noch einmal überprüft und die Bedeutung der Debatte so genau wie möglich dargelegt; anschließend wird in einem kurzen Resümee der Sinn der Geschichte der Philosophie, der in der christlichen Offenbarung vorhanden ist, geklärt und abschließend die Bedeutung der christlichen Philosophie für das gegenwärtige und zukünftige Denken zusammengefasst.
Schwierigkeiten des Begriffs. Ein komplexer Begriff, der durch die Verbindung eines Substantivs und eines Adjektivs ausgedrückt wird, ist nur dann definierbar, wenn beide Begriffe eine präzise und relativ feste Bedeutung haben. Wenn hingegen der eine oder andere Begriff unterschiedliche (und nicht eindeutige) Bedeutungen hat, ergeben sich zwangsläufig bestimmte Probleme aufgrund der variablen Beziehungen, die sich zwischen den beiden Begriffen ergeben und somit den Gegenstand des Ausdrucks als Ganzes betreffen. Es ist daher nützlich, hier jeden der Begriffe, aus denen sich der Ausdruck christliche Philosophie zusammensetzt, und die Probleme zu untersuchen, die sich a priori in bezug auf seinen Gegenstand stellen.
Philosophie. Unter diesem Wort kann man (1) jede Lehre verstehen, die eine Weisheit vorschlägt, die dazu bestimmt ist, die Menschen zu ihrem Ziel zu führen, indem sie den Ursprung und die Bestimmung aller Dinge bekannt macht, ob diese Weisheit nun natürlich erworben oder von Gott geoffenbart wurde. Genauer gesagt kann man auch (2) eine Gesamtheit von Wahrheiten meinen, die der menschliche Verstand, wenn er sich selbst überlassen ist, entdecken kann, ohne jedoch den Einfluss nicht-rationaler Daten auszuschließen. Es wird allgemein anerkannt, dass die griechische Philosophie, auch wenn sie in der Begegnung mit dem Christentum endete, dem sie sich in den Personen ihrer letzten Vertreter entgegenstellte, diese Vorstellung von philosophischer Weisheit hatte. Schließlich kann man in einem noch engeren Sinne (3) eine Gesamtheit von Lehren meinen, die die den Wissenschaften eigene Kohärenz und Gewissheit besitzen, wie sie im modernen Sinne verstanden werden. In einem solchen Verständnis würde die Philosophie von einem einfachen und absolut sicheren Ausgangspunkt ausgehen, um die gesamte Abfolge ihrer Sätze in einer notwendigen Ordnung zu gestalten. Diese Auffassung hat sich seit René Descartes in den verschiedenen Formen des Rationalismus und Positivismus durchgesetzt. Das Ideal der Philosophie als strenge Wissenschaft definiert diese Auffassung der philosophischen Erkenntnis hinreichend.
Das Adjektiv christlich. Auch beim Adjektiv christlich ist eine Bedeutungsvielfalt festzustellen. Sie ergibt sich aus der Art und Weise, wie die katholische Kirche einerseits und die Jünger Martin Luthers andererseits das Verhältnis von Natur und Gnade auffassen, indem sie die Realität der Sünde und ihrer verderblichen Wirkungen anerkennen. Auf der einen Seite stehen die Bemühungen um eine Synthese, die der Katholizismus aufgrund seiner Lehre von der Intelligenz des Menschen ständig fördert – einer Intelligenz, die nach seiner Auffassung von der Erbsünde nicht wesentlich verändert werden konnte und die von der Gnade je nach Bedarf aufrechterhalten und wiederhergestellt wird. Auf der anderen Seite gibt es im lutherischen Denken eine Tendenz, die Vernunft von der Gnade zu trennen, die allem feindlich gegenübersteht, was auch nur annähernd einem Eingriff der Natur in die Ordnung des Heils durch den Glauben ähneln könnte.
Das Problem. Diese Überlegungen, so kurz sie auch sein mögen, erlauben es, von vornherein zwei extreme Positionen zu eliminieren, die beide negativ sind, was den Begriff der christlichen Philosophie betrifft. Die erste, die sich auf den Begriff der Philosophie im Sinne von (3) stützt, lehnt a priori – als dem wahren Begriff der Philosophie widersprechend – jeden Einfluss ab, der als angemessen christlich angesehen werden könnte. Die zweite, die sich auf den Begriff des Christlichen gründet, der eine radikale Verderbnis der menschlichen Natur durch die Sünde voraussetzt, lehnt jede Anmaßung der natürlichen Intelligenz ab, die sich selbst überlassen ist, um in nützlicher Weise an der Entdeckung der Wahrheit über Gott und die Beziehung des Menschen zu Gott mitzuwirken. Das Wort Gottes allein, in seiner Reinheit und Nacktheit empfangen, ist die Quelle der Wahrheit und des Heils.
Man kann den Begriff der christlichen Philosophie, der auf dem Begriff der Philosophie im Sinne von (1) beruht, schnell übergehen. Das bietet keine Schwierigkeit, denn es bedeutet einfach, dass das Evangelium, das das Leben und die Lehre Jesu Christi enthält, dem Menschen die einzig wahre Heilslehre und damit die einzig wahre Weisheit, die einzig wahre Philosophie, verstanden in einem sehr weiten Sinn, bringt.
Es bleiben also die Philosophie im Sinne von (2) und das Konzept einer Beziehung zwischen der Ordnung der Natur und der Gnade, das keineswegs a priori als Bedrohung der Reinheit der Botschaft des Evangeliums zurückgewiesen wird – die Vorstellung, daß der Mensch durch seine natürliche Intelligenz nützliche Wahrheiten sowohl über Gott als Schöpfer und Ende des Universums als auch über die natürlichen Grundlagen des menschlichen Lebens, des individuellen und des kollektiven, entdecken kann, die die Gnade erhöht, aber nicht zerstört. Hier stellt sich das Problem der christlichen Philosophie theoretisch in folgender Weise dar. Wenn man zugibt, dass es eine Beziehung zwischen der Philosophie als Werk der menschlichen Intelligenz und der übernatürlichen Offenbarung geben kann, wie kann man sich dann einen Einfluss der Offenbarung auf die Philosophie vorstellen, ohne dass die Philosophie selbst entweder (a) in eine Theologie im klassischen Sinne des Wortes verwandelt wird, oder (b) in eine hybride Disziplin, die sich aus Philosophie und aus dem Glauben entlehnten (und dadurch stillschweigend garantierten) Daten zusammensetzt, oder (c) in eine teilweise oder vollständige Säkularisierung des konkreten und historischen Berichts über das von und in Jesus Christus vollbrachte Erlösungswerk durch Übertragung in abstrakte oder wissenschaftliche Begriffe? Gibt es überhaupt eine Wahl zwischen diesen drei Möglichkeiten? Ist es nicht notwendig, von vornherein jeden Vermittler zwischen der Theologie im eigentlichen Sinne und den Spekulationen auszuschließen, die die christlichen Daten in ihrer Gesamtheit, wie G.W. F. Hegel, oder in ihren Teilen, wie es dem Existentialismus und dem Personalismus vorgeworfen wird, einfach auf andere Weise zusammenfassen? Ist ein positiver Einfluss der Offenbarung, unabhängig vom Glauben, ein christlicher Einfluss? Wenn die Antwort nein lautet, kann man dann von „christlichem Einfluss“ als etwas anderem als dem allgemeinen Klima der westlichen Zivilisation sprechen? Wenn ja, welche Art von Symbiose kann dann zwischen zwei Arten der Erkenntnis und der Beziehung zu Gott hergestellt werden, die sich so sehr unterscheiden wie der Glaube an das geoffenbarte Wort und die Suche nach der Wahrheit allein aufgrund natürlicher Beweise und Gewissheiten? Die Zustimmung des übernatürlichen Glaubens und die natürliche Zustimmung können zweifellos in ein und demselben Geist koexistieren, aber man kann sie nur formal identifizieren, indem man einen Widerspruch zulässt. Wenn man also eine Philosophie als „christlich“ qualifiziert, selbst wenn sie im Sinne von (2) verstanden wird, muss man zeigen, dass das Epitheton das Substantiv wirksam qualifiziert, ohne das Wesen desselben zu verderben.
Historische Perspektiven. Seit ihren Anfängen hat sich die Kirche bemüht, den Menschen verschiedener Epochen, verschiedener Stufen und Kulturkreise die von Gott in Jesus Christus an die Menschheit gerichtete Botschaft zu vermitteln. Dieses Bemühen muss bis zum Ende der Zeit fortgesetzt werden. Da es sich bei dieser Botschaft um das Wort Gottes handelt, das übernatürliche Geheimnisse offenbart, ist es unmöglich, daß sie nicht einen positiven Einfluß der Umwandlung und Erhöhung ausübt, und zwar sowohl direkt auf die Begriffe und sogar die Sprachen, die verwendet werden, um sie in einer jeder Kultur und Epoche eigenen Weise auszudrücken, als auch indirekt auf alles, was sich innerhalb einer bestimmten Mentalität, ob individuell oder kollektiv, um die geoffenbarten Daten als Zentrum dreht. Es gibt also Raum für die Theologie im präzisen und klassischen Sinne des Wortes, d. h. für die Arbeit, die im Laufe der Jahrhunderte geleistet wurde, um die Geheimnisse des Heils immer präziser (gegen Irrlehren oder mögliche falsche Interpretationen) und systematischer (d. h. im Lichte der Weisheit geordnet) auszudrücken; und darüber hinaus für andere Wirkungen der Bemühungen der Kirche, die sich in den Veränderungen und Fortschritten bei der Lösung der großen philosophischen Probleme zeigen, die sich die Menschheit unabhängig vom Christentum gestellt hat. Es sind diese letzteren Wirkungen, die in der Debatte über die christliche Philosophie hauptsächlich erörtert werden.
Abgesehen von den Problemen, die bezüglich des Übergangs der geoffenbarten Botschaft von der hebräischen Sprache und Mentalität zur griechischen und lateinischen Kultur aufgeworfen wurden, obwohl sie wichtig sind, behandelt der folgende historische Überblick die Beziehung dieser Botschaft zur Philosophie.
Haltung des Glaubens. Die erste Haltung, die es zu beachten gilt – nach einer frühen Periode der Zurückhaltung, wenn nicht gar der Feindseligkeit, deren Widerhall im Laufe der Jahrhunderte immer wieder zu finden ist -, ist diejenige, die die Philosophie als eine dem Glauben innewohnende Disziplin mit der Absicht einsetzt, den Inhalt des Glaubens zu verstehen, zu definieren oder zu verteidigen. Die erste Philosophie, die sich auf diese Weise bediente, war der Platonismus oder, genauer gesagt, der Neuplatonismus in seinen verschiedenen Formen. Indem er alles auf ein transzendentes Prinzip und ein Universum verständlicher Formen reduzierte, schien sich der Platonismus am ehesten für den von ihm erwarteten Dienst zu eignen, allerdings nicht ohne den Glauben in ernste Gefahr zu bringen oder seinerseits tiefgreifende Veränderungen zu erfahren. Die dem Glauben innewohnende Philosophie der ersten zehn Jahrhunderte lässt sich durch ihre pastorale und monastische, d. h. im Grunde religiöse Absicht charakterisieren. Sie blieb Teil einer Bewegung, die von der ursprünglichen Offenbarung Gottes an die Menschen zu Gott zurückführt, zu dem der Geist des Menschen zurückkehrt, geleitet vom Wort selbst, aber angepasst und gleichsam akklimatisiert an die Epoche und an die Individuen auf den verschiedenen Kulturebenen innerhalb dieser Epoche.
Wissenschaftliche Haltung. Trotz der tiefgreifenden Unterschiede, die die Apologeten, die griechischen und lateinischen Väter, den heiligen Augustinus und den heiligen Anselm trennen, bildet das Ensemble eine Periode, die sich deutlich von der Scholastik unterscheidet, wenn auch nicht durch die zentrale Haltung, die auf das Verständnis und die Aneignung der christlichen Lehre gerichtet blieb. In der früheren Periode erfolgte diese Aneignung in einem neuen Stil, der nicht mehr unmittelbar pastoral und kontemplativ, sondern gelehrt und wissenschaftlich war, und zwar in Form eines Disputs mit einem realen oder vermeintlichen Gesprächspartner, der als Verteidiger einer gegenteiligen These angesehen wurde. In der Hochscholastik, vor allem unter dem Einfluss von Albert dem Großen und Thomas von Aquin, löste die Philosophie des Aristoteles diejenige Platons in der theologischen Lehre ab und behielt diese Position lange Zeit bei. Gewiss, ab dem 13. Jahrhundert beginnt sich, vor allem bei den Meistern der geisteswissenschaftlichen Fakultäten, ein rein philosophisches Denken herauszubilden, dessen bekanntester Vertreter der lateinische Averroismus ist, auch wenn diese Bewegung im Lichte der neueren Studien neu bewertet werden muss. Außerdem trugen die Theologen selbst ebenso viel (oder mehr) wie die Mitglieder der geisteswissenschaftlichen Fakultäten dazu bei, die großen Themen der Philosophie, insbesondere die Metaphysik des Seins, die natürliche Theologie, die Psychologie und die Moralwissenschaft, zu verändern und voranzubringen.
Rationalistische Haltung. Mit Descartes taucht jedoch eine Auffassung von Philosophie auf, die sich selbst als auf ihren eigenen Grundlagen aufbauend, als rein rational und ähnlich wie die Mathematik verlaufend betrachtet. Dies versucht sie durch die Konstruktion eines Systems, das sich auf eine natürliche Gewissheit stützt, die so solide ist wie das Cogito, ein System, dessen Architekt der Philosoph ist, ohne selbst daran beteiligt zu sein. Dass ein solches Unternehmen, das mit anderen Mitteln betrieben wurde, nicht in der Lage war, die Fesseln zu sprengen, die es mit der Gesamtstruktur der vom Christentum geprägten Kultur verbanden, lässt sich leicht zeigen. Dennoch war es ein Versuch, ein von allen nicht-rationalen Einflüssen losgelöstes philosophisches Denken zu formen.
Veränderte Haltung. Die rationalistische Auffassung, die von C. Wolff in Universitätskreisen popularisiert wurde, wurde ab dem 19. Jahrhundert von einer Reihe von Scholastikern übernommen. Jahrhundert von einigen Scholastikern übernommen. Gegen diese Auffassung erhoben sich Philosophen, die auf verschiedene und zum Teil gegensätzliche Weise auf den fiktiven Charakter eines Philosophen hinwiesen, der zugleich Konstrukteur und Betrachter ist. Diese Denker sahen sich veranlasst, den wahren Zustand der Konfrontation des Menschen mit der philosophischen Wahrheit unter Beweis zu stellen und die Philosophie dazu zu bringen, den Weg zu einem letzten Ziel wieder aufzunehmen, den sie zumindest seit Platon bis zum Beginn der Neuzeit beschritten hatte. Das Verhältnis dieser Philosophen zum Christentum hat sich als deutlich anders, d.h. entweder positiver oder brutaler negativ, erwiesen als das des Rationalismus und seiner verschiedenen Entwicklungen.
Ursprünge der aktuellen Debatte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts vertraten viele katholische Philosophen die Ansicht, die Offenbarung übe eine negative und extrinsische Kontrolle über die Philosophie aus, nämlich indem sie eine Philosophie, die zu einer offenkundig dem Glauben widersprechenden Schlussfolgerung gelangt ist, auf ihren Irrtum hinweist. Der Philosophie bleibt dann die Aufgabe, ihre Demonstrationen zu wiederholen und den Irrtum zu entdecken. Diese Lösung setzt implizit die vollständige Autonomie der Ordnung der philosophischen Forschung und ihre äußere Regelung durch den Glauben voraus.
Gilson. Diese Lösung wurde indirekt durch die historischen Studien von É. Gilson über die christliche Philosophie in Frage gestellt. Gilson begann mit einer Untersuchung des kartesischen Denkens und erkannte bald, dass Descartes, weit davon entfernt, einen absoluten Ausgangspunkt zu bilden, nur in der Kontinuität mit dem mittelalterlichen Denken verstanden werden konnte; denn von diesem hatte er sein Vokabular und eine große Anzahl seiner wesentlichen Begriffe und Hauptthesen, vor allem in der natürlichen Theologie, geerbt. Gilsons Studie des mittelalterlichen Denkens zeigte außerdem, dass dieses nicht einfach eine Wiederholung des griechischen Denkens, insbesondere desjenigen von Aristoteles, war, sondern eine originelle Behandlung der meisten Hauptthesen der Metaphysik, der natürlichen Theologie und der Psychologie bot. Diese Neuerungen können nur durch den unbestreitbaren Einfluss verstanden werden, den die Offenbarung auf das Werk großer Theologen wie des heiligen Bonaventura und des heiligen Thomas von Aquin ausübte. Eine rein extrinsische Regelung würde nicht ausreichen, um die Tatsachen zu erklären, wie sie sich dem Historiker des christlichen Denkens darstellen.
Was Gilson den Historikern vor Augen führen wollte, war die Notwendigkeit, ihre Konzepte in Bezug auf die großen Perioden in der Geschichte der westlichen Philosophie zu revidieren. Anstelle von Lücken zwischen der Antike, dem Mittelalter, der Renaissance und der Neuzeit vertrat er eine echte Kontinuität, die durch willkürliche und falsche Klassifizierungen verschleiert wurde. Gleichzeitig stellte er den positiven und wesentlichen Einfluss der christlichen Offenbarung unter Beweis, und zwar nicht nur auf die Theologen des Mittelalters, sondern durch sie auf die gesamte abendländische philosophische Tradition. Letztere unterscheide sich nur deshalb grundlegend vom griechischen Denken, weil sich die großen Themen der Philosophie in den Jahrhunderten der mittelalterlichen Spekulation durch christliche Einflüsse gewandelt hätten.
Diese Position konnte nicht umhin, eine theoretische Diskussion über den Begriff der christlichen Philosophie, ihre apriorische Möglichkeit und die Frage, ob sie eine Art von Widerspruch impliziere, zu provozieren. Die Anhänger der scholastischen Tradition, insbesondere die Verfechter der Lehre des Aquin, sahen keine Möglichkeit, zwischen einer reinen Philosophie und der Theologie zu vermitteln. Sie betrachteten die Philosophie als eine völlig unabhängige Ordnung – wie sie von Descartes und seinen Nachfolgern postuliert worden war – mit einem eigenen Ausgangspunkt, der die Konstruktion eines kohärenten Systems ermöglichen würde, das frei von Zweifeln sowie von nicht-rationaler oder religiöser Inspiration wäre.
Maritain. J. Maritain hielt zwar an der grundsätzlichen Möglichkeit einer reinen Philosophie fest, schlug aber zunächst vor, diese von den historischen Zuständen der Philosophie zu unterscheiden. Später formulierte er seine These einer angemessen verstandenen Moralphilosophie, die seiner Meinung nach nur christlich sein kann, da sie auf der Erkenntnis des letzten Ziels des Menschen beruhen muss, das konkret übernatürlich ist.
Blondel. Die Debatte über die christliche Philosophie konnte nicht umhin, auch an die leidenschaftlichen Polemiken zu erinnern, die nach 1893 durch die Thesen von M. Blondel über das Handeln und über das Verhältnis der Philosophie zur Offenbarung ausgelöst wurden. Blondel schaltete sich auch in die Debatte ein, um Gilson vorzuwerfen, dass er die Zweideutigkeit, gegen die Blondel in all seinen Werken energisch gekämpft hatte, aufrechterhält. Blondel war besorgt über die Unmöglichkeit, dass die Philosophie sich selbst verstehen kann, ohne in ihrem Herzen, in ihrer eigenen Unzulänglichkeit, eine Berufung auf eine übernatürliche Stütze zu entdecken. Für ihn wird die Philosophie nicht einfach von außen durch die Offenbarung gelenkt, und sie soll auch nicht einfach bei Gelegenheit vom Theologen als Instrument benutzt werden. Sie muss von sich aus energisch versuchen, das ihr Mögliche für die Menschheit zu tun, und dabei anerkennen, dass sie letztlich eine andere Ordnung um Hilfe bitten muss, auf deren Notwendigkeit sie hinweist, während sie deren Unentgeltlichkeit einräumt. Zu glauben, dass die Philosophie sich selbst genügen kann, bedeutet, zu behaupten, dass die Ordnung der Gnade keinen Anknüpfungspunkt im menschlichen Geist hat, dass nichts sie ruft oder vorbereitet, dass das Übernatürliche in die Natur eingeführt wird wie ein Fremdkörper in einen lebenden Organismus.
Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs stellte sich die Situation also wie folgt dar: Da war zunächst die Mehrheit der scholastischen Theologen, die eine radikale Trennung von Philosophie und Offenbarung und eine Auffassung von Philosophie vertraten, die der des gegenwärtigen Rationalismus ähnlich, wenn nicht gar identisch war; dann war da Gilson, der sich nicht mehr nur auf die Rolle eines Historikers beschränkte; und schließlich waren da Blondel und seine Sympathisanten, für die die Philosophie in Bezug auf ihr wahres Wesen völlig irrte, wenn sie glaubte, sich in sich selbst verschließen und dem menschlichen Leben ohne Bezug auf die übernatürliche Ordnung einen Sinn geben zu können.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Positionen durch die Entwicklungen sowohl in der Philosophie als auch in der Theologie tiefgreifend verändert.
Zeitgenössische Philosophie. Unter verschiedenen Einflüssen sind nicht wenige Philosophen zu der Überzeugung gelangt, dass der von Descartes vorgeschlagene Ausgangspunkt der Philosophie, der von den „Systembauern“ immer wieder aufgegriffen wurde, zu utopisch ist. Wenn Philosophen ausreichend über die realen Bedingungen der Philosophie nachdenken, stellen sie fest, dass diese nicht mit einem reinen Subjekt (z.B. dem Cogito oder einem transzendentalen Subjekt, welcher Art auch immer) oder mit einem reinen Gegebenen beginnen kann, wie es die Mathematik tut. Das Denken des Menschen beginnt und kann nur mit einer Ausgangssituation beginnen, die die Anwesenheit und Offenheit seines Wesens auf allen Ebenen für eine Welt impliziert, die von Anfang an Sinn macht, einen Sinn, den er immer wieder befragt, um seinen tiefsten Sinn zu entdecken. Es wird faktisch unmöglich, dieses ursprüngliche (und letzte) Datum von der conditio humana zu trennen.
Die Philosophen wenden sich mehr und mehr der Erhellung der realen Bedingung des philosophischen Unternehmens zu, das dem Menschen möglich ist und das sich als solches erweist, wenn die Illusionen und Trugbilder, mit denen die Phantasie und die Sprache es ständig bedecken, aufgelöst werden. Dieses Werk ist eine Suche nach der Wahrheit, die den Philosophen dazu bringt, auf seinem eigenen Boden über eine große Zahl von metaphysischen und anthropologischen Problemen neu nachzudenken, auf die die Offenbarung auch Antworten gegeben hat, die die Perspektiven der westlichen Philosophie verändert haben.
Zeitgenössische Theologie. Das christliche Denken hingegen hat durch die Rückbesinnung auf seine Quellen eine tiefgreifende Erneuerung erfahren: Die Heilige Schrift, die Tradition (in ihrer ganzen Fülle und ihrem Reichtum) und die Liturgie sowie die Entwicklung des lateinischen, griechischen und orientalischen patristischen Denkens über das Mittelalter bis in die Neuzeit. Es ist also nicht mehr möglich, dem Denken von Gilson oder Blondel die einfache Vorstellung entgegenzusetzen, die in den dreißiger Jahren als die einzig mögliche Sicht der Philosophie und ihrer Rolle in der immensen Anstrengung erschien, die fast zwei Jahrtausende lang von den Christen unternommen wurde, um den Inhalt des Glaubens zu erklären oder zu verteidigen.
Die Erneuerung der patristischen Studien in der Mitte des 20. Jahrhunderts durch Henri de lubac, Jean danielou und andere Theologen, die mit „la nouvelle théologie“ verbunden sind, hat viel zu dieser Wertschätzung der Vielfalt des christlichen philosophischen Denkens beigetragen. Aus spekulativer Sicht war der wichtigste Beitrag von de Lubac et al. die Debatte über Natur und Gnade (siehe reine Natur, Zustand). Ihr Einwand gegen die gängige scholastische Hypothese, dass ein geistiges Geschöpf als Geschöpf ein anderes Ziel als die Vision Gottes haben könnte, beinhaltete eine allgemeinere Klage darüber, dass die scholastische Theologie, wie sie sich nach Aquin entwickelte, eine unangemessene Vorstellung von der Autonomie der natürlichen Ordnung hatte. Ihrer Ansicht nach war der philosophische Rationalismus ein natürliches Ergebnis dieser Entwicklung. Ohne zu leugnen, dass die Philosophie ihre eigenen Methoden hat, die sich von denen der Theologie unterscheiden, vertraten einige dieser Theologen die Ansicht, dass die formalen Gegenstände von Philosophie und Theologie nicht so unterschiedlich sind. Untersuchungen des Denkens von Theologen wie Augustinus und Bonaventura schienen diesen Gedankengang zu stützen.
Päpstliche Lehre. pius xii sprach in seiner Enzyklika humani generis (1950) von der Philosophie, die zur unveränderlichen, metaphysischen Wahrheit gelangt, als einer Philosophie, „die von der Kirche anerkannt und angenommen ist“ (HG 29). Dieser Haltung der Kirche stellte er zwei damit zusammenhängende moderne Irrtümer gegenüber: einen philosophischen Pluralismus, der zu einem philosophischen Relativismus wird, und einen Agnostizismus hinsichtlich der Fähigkeit des menschlichen Geistes, die metaphysische Wahrheit zu erkennen. Diese Philosophie wird einfach in dem Sinne als „christlich“ bezeichnet, dass sie die metaphysische Wahrheit erlangt und somit für den Christen ein solides Werkzeug zum Verständnis des Glaubens darstellt.
Das Thema der christlichen Philosophie wurde von Johannes Paul II. in seiner Enzyklika fides et ratio (1998) wieder aufgegriffen. Johannes Paul bekräftigte, dass „die Kirche weder eine eigene Philosophie hat noch eine bestimmte Philosophie vor anderen heilig spricht“ (FR 49). Die Philosophie hat ihre eigenen Prinzipien und Methoden, und es wäre nicht angemessen, wenn der Glaube der Philosophie in diesen Punkten etwas vorschreiben würde. Da jedoch die Wahrheit, die aus der Offenbarung kommt, und die Wahrheit, die von der Vernunft in ihrem eigenen natürlichen Licht erkannt wird, harmonisch sind, übernimmt die Kirche zu Recht die Rolle der „Dienerin der Wahrheit“, indem sie auf Teile der verschiedenen philosophischen Systeme hinweist, die mit der Wahrheit, wie sie der Glaube kennt, unvereinbar sind (FR 50).
Papst Johannes Paul hat die Debatte über die christliche Philosophie neu gestaltet, indem er das eigentliche Ziel der Philosophie betonte: nämlich die letzte Wahrheit und den Sinn des Lebens zu verstehen (FR 3). Die Philosophie hat also das gleiche Ziel wie der Glaube, auch wenn sie sich in der Methode unterscheidet, mit der sie dieses Ziel erreicht. Unter Wahrung dieser Autonomie der Philosophie beeinflusst der Glaube die Philosophie dennoch auf verschiedene Weise. Er läutert die von der Sünde verwundete und zur Anmaßung verführte Vernunft. Er versichert der Philosophie, dass ihr Ziel bekannt sein kann. Am wichtigsten ist, dass „die Offenbarung eindeutig bestimmte Wahrheiten vorschlägt, die von der Vernunft allein niemals hätten entdeckt werden können, obwohl sie der Vernunft nicht von sich aus unzugänglich sind“ (FR 76). Die Philosophie wird dadurch nicht zur Theologie: Die geoffenbarten Dinge sind eigene philosophische Gegenstände. Aber die Offenbarung dieser Wahrheiten leitet die philosophische Forschung an, zumal sie sie als zum Ziel des Menschen gehörend darstellt, das das Ziel der Philosophie ist. So leitet zum Beispiel die Offenbarung Gottes als des freien und persönlichen Schöpfers die Philosophie des Seins; die Offenbarung der Wirklichkeit der Sünde leitet die philosophische Reflexion über das Böse; und die Offenbarung der Würde der Person leitet die philosophische Anthropologie.
Abschließende Zusammenfassung. Der Ausdruck „christliche Philosophie“ wird also in verschiedenen Zusammenhängen verwendet. Da ist zunächst die Tatsache des Einflusses der Offenbarung auf die Philosophie – ein unbestreitbarer Einfluss, der aber unterschiedlich interpretiert wird. Es ist auf jeden Fall notwendig, klar zu unterscheiden zwischen dem eigentlichen theologischen Vorhaben des Glaubens, der sich der Philosophie bedient, um sich besser ausdrücken zu können, und dem Einfluss, den der Glaube auf diese Weise auf die Philosophie ausübt und der über eine rein negative Norm hinausgeht. Es gibt zweitens die Bemühungen, innerhalb einer christlich geprägten Zivilisation eine vom christlichen Einfluss unabhängige philosophische Ordnung neu zu bilden. Diese würde sich theoretisch so konstituieren, als gäbe es das Christentum tatsächlich nicht: entweder indem man vorgibt, es zu ignorieren, oder indem man versucht, es unbrauchbar zu machen, oder schließlich, indem man es auf eine andere Ebene des intellektuellen Lebens verweist (allerdings mit der heimlichen Absicht, ihm wieder zu begegnen oder sich von ihm negativ regulieren zu lassen). Drittens und letztens gibt es das Bestreben, Philosophien zu bilden, die von Anfang an die Tatsache des Christentums nicht weniger berücksichtigen als die Existenz von Sternen und Planeten. Dies würde entweder ein System bilden, in dem das Christentum auf den Gegenstand einer abstrakten Dialektik reduziert wird, oder es würde seine Untersuchung in einer Weise führen, die der Philosophie, ohne ihren natürlichen Charakter zu verändern, die Möglichkeit gibt, auf die Ordnung der Gnade zu warten oder sich sogar darauf zu berufen.
Gegen eine formale Unterscheidung zwischen den beiden Ordnungen des Wissens, der natürlichen und der übernatürlichen, die kein katholischer Philosoph in Frage stellen würde, bleiben verschiedene Möglichkeiten, den Begriff der christlichen Philosophie zu konzipieren, eine Vielfalt, die (zumindest für die katholischen Philosophen) zum Teil von den gegensätzlichen Auffassungen der Philosophen über das Wesen der Philosophie abhängt, aber auch von Auffassungen, die sich gegenseitig ergänzen, anstatt sich völlig auszuschließen.
Siehe auch: Existenzielle Metaphysik; Theologie, natürliche; Gott.
Bibliographie: Für einen vollständigen Überblick über die Literatur siehe die Chroniken des Bulletin Thomiste 4 (1934-36) bis zur Gegenwart. Christian Philosophy and the Social Sciences (American Catholic Philosophical Association. Proceedings of the Annual Meeting 12; Baltimore 1936). The Role of the Christian Philosopher (ebd., 32;1958). m. nÉdoncelle, Is there a Christian Philosophy?, tr. i. trethowan (New York 1960). c. tresmontant, The Origins of Christian Philosophy, tr. m. pontifex (New York 1963). p. delhaye, Medieval Christian Philosophy, tr. s. j. tester (New York 1960). r. vancourt, Pensée moderne et philosophie chrétienne (Paris 1957), Eng. in prep. É. h. gilson, The Christian Philosophy of St. Thomas Aquinas, tr. l. k. shook (New York 1956). j. maritain, An Essay on Christian Philosophy, tr. e. flannery (New York 1955). a. c. pegis, Christian Philosophy and Intellectual Freedom (Milwaukee 1960). j. f. quinn, The Historical Constitution of St. Bonaventure’s Philosophy (Toronto 1973).
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